Keine Kunst zu sehen ist auch eine Kunst
von Ralph Schröder

Gähnende Leere. Das Cover von Stephan Graus' Debütroman "Die Welt Ab_Bilden" deutet es schon an. In dieser "Aus-stellung" gibt es nichts zu sehen, wird nur so getan, als ob es etwas zu sehen gäbe. So scheint es, nur ganz anders als erwartet. Unterstrichen wird im Titel bedeutungsvoll eine buchstäbliche Leerstelle, semantisch aufgeladen  -  total hipp und modern. Alles dreht sich in diesem Roman um bildende Kunst - die Kunst des schönen Scheins und wie er inszeniert wird. Doch der Schein trügt, wen wundert's? Der Schein, um den es hier geht, ist nämlich echt, vor allem aber eines: heilig - scheinheilig das Ganze, wie es im Buche steht. Die Rede ist von der Welt des Kunstbetriebs und der Kunstszene, und wer hätte das gedacht – in diesem Roman kein gutes Bild abgibt. Kunst soll Welt abbilden können? Wer's glaubt, ist auf dem Holzweg, und hat die Rechnung nicht mit den Ausstellungsmachern gemacht, die solchem Glauben Glauben schenken. Die Inszenierung von Kunst verkommt zu einer Kunst der Inszenierung. Das ist der Kern des kürzlich erschienenen Debütromans "Die Welt Ab_Bilden" von Stephan Graus.

In einer über weite Teile erfrischend präzisen Sprache und mit sanftem Spott unterlegten Ironie gelingt es Stephan Graus, den Leser unmittelbar an den bis ins kleinste Detail geplanten Vorbereitungen einer Museumsausstellung teilhaben zu lassen. Wie der Titel der Ausstellung (und des Romans) proklamiert, erhebt diese keinen geringeren Anspruch, als die "Welt abzubilden". Dass das nicht gelingen kann, ist für jeden Leser und Leserin von Anfang an klar, für die fiktiven Verantwortlichen der Ausstellung und die dazugehörige Apanage im Roman jedoch - zum Vergnügen von uns Lesenden - bitterer Ernst. Um die aus- und dargestellte Kunst, auch das wird schnell klar, geht es hier am Allerwenigsten. Sie selbst wird zur Staffage und zum Vehikel einer ganz anderen Form von Darstellung: der Selbstdarstellung des im Kunst- und Museumsbetrieb involvierten Personals.
Wir begleiten den Protagonisten des Romans, Raphael Schulz, auf seinem Weg vom arbeitslosen Studienabgänger als Geisteswissenschaftler auf Stellensuche zur Anstellung als Museums-Guide und Kunstvermittler mit Aussicht auf eine Festanstellung. Nicht nur die Konkurrenz unter den ausgewählten Anwärtern, auch die Ideosynkrasien und die Eingebildetheit des auftretenden Personals sind gross und ausgeprägt. Die uns begegnenden und eine Rolle spielenden Figuren werden herrlich überzeichnet, aber subtil vorgeführt: angefangen von der selbstsüchtig, machtbesessenen Museumsdirektorin mit Zügen einer Domina, über die uns begegnenden, vor Ehrgeiz und Selbstüberschätzung strotzenden, servilen oder kauzig-geheimnisvollen Kurator:innen und weiteren Mitgliedern des Museumsstabs, bis hin zu den redselig tratschenden Sekretärinnen und beflissen ambitionierten Assistentinnen. Ganz zu schweigen von den im Hintergrund agierenden Kunstmäzeninnen, deren Auftritte nur eines unterstreichen: Hier geht es nur um eines: Geld, Prestige und Geltungssucht. Die Kunst, die Kunstwerke selbst, um deren Rang und Wert sich alles zu drehen scheint, bleiben auf der Strecke.
Jede auftretende Figur im Roman bekommt bis zur Bedauernswertigkeit ihr Fett weg. Da bleibt im Vergleich der Protagonist Raphael Schulz, durch dessen Brille wir als Leser der ganzen Sache beiwohnen dürfen, verhältnismässig blass – ein Manko des Romans, das der Rolle Schulz' als Brennglas und stellvertretendem Beobachter des mitunter skurril-grotesken Museumsbetriebes geschuldet sein mag, und dennoch ein Manko bleibt. Bemitleidenswert deswegen auch er, weil er aus seiner Not und Redlichkeit und seiner Intelligenz kein Kapital zu schlagen weiss ausser der Komplizenschaft mit uns Leserinnen und Leser.
Das über den Protagonisten Schulz und den Museums-Staff in langen Passagen des Romans en passant mittransportierte und geistreich vermittelte  kunsthistorische und -theoretische sowie museumsdidaktisch-pädagogische Hintergrundwissen wirkt zuweilen bei der Lektüre etwas überfrachtet, weil die erkennbare Intention des Autors, damit den "Schmu" zu entlarven, wie er diese Art von Sprechen über Kunst bezeichnet, phasenweise überstrapaziert wird. Das geschieht leider etwas auf Kosten der Erzählhandlung, von der man sich aufgrund der Romananlage bis zuletzt mehr Dramatik und Eskalation gewünscht hätte. Entschädigt wird man bei der Lektüre dafür mit dem bis zuletzt anhaltenden Spass und Vergnügen, die sowohl die Sprache des Romans als auch der seltene Einblick hinter die Kulissen eines Kunstbetriebes gewährt. So oder so ähnlich wird es zugehen hinter den Vorhängen eines Kunstbetriebes, denkt man sich am Ende. Oder doch nicht?  Alles nur Schein? Ziemlich sicher aber ein, wenn auch überzeichnetes Abbild und Spiegel der mitunter bitteren Wahrheit im gegenwärtigen und seit je herrschenden Kunstbetrieb.

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